Der Bergungstaucher Tarek Omar am Blue Hole, Dahab, Sinai, Ägypten
Niemand barg mehr Tote aus dem Blue Hole als er. Tarek Omar holte auch die Leiche von Yuri Lipski aus ca. 95 m Tiefe. Mit seiner Videokamera hatte dieser unfreiwillig seinen eigenen Tod gefilmt, und zur Warnung kann man den schrecklichen Film auf YouTube sehen. Trotzdem meint Tarek Omar: „Leute zu warnen ist hoffnungslos.“
Wahrscheinlich hält das Blue Hole weltweit den traurigen Rekord der meisten tödlich verunglückten Taucher. Wie viele hier wirklich starben, weiß niemand. Es gibt keine Statistik. Man kann anhand glaubwürdiger Zeugenaussagen nur schätzen: Seit Beginn des Tauchtourismus Anfang der 80er-Jahre dürften es ca. 300 gewesen sein. Die meisten blieben für immer verschollen. Es sind fast ausschließlich Männer und erfahrene Taucher, die hier sterben. Der Anteil der Selbstmörder ist gering. Ein eindeutiger Hinweis, wie gefährlich und von der Tagesform abhängig das Tauchen mit Pressluft jenseits der 40 m wirklich ist. Viele Gerüchte und falsche Informationen kursieren auch im Internet, gerade zu dem spektakulären Fall von Yuri Lipski. Tarek Omar ist der beste Kenner dieses Platzes. In diesem Interview erzählt er zum ersten Mal seine Geschichte, die des Blue Hole und die der Opfer.
Tarek Omar und Achmed im Gespräch mit Heinz Krimmer
Heinz Krimmer: Tarek, wann hast du denn mit dem Tieftauchen und Bergen angefangen?
Tarek Omar: Ich startete 1997. 1998 barg ich das erste Opfer. Auf die Bergung der zwei Verunglückten war ich sehr stolz. Es war meine erste Bergung Es ist die schwarze Gedenktafel. Es waren zwei Divemaster, die morgens auf den Boden des Blue Holes tauchen wollten und nie wieder zurückkamen. Du musst ganz genau wissen, was du tust und wie dein Körper reagiert, sonst wirst du mit ihnen sterben.
Heinz Krimmer: Und du bist wirklich nur mit Luft runter, nicht wie heute mit dem Gasgemisch eines Tec-Divers?
Tarek Omar: Nein, nur mit Pressluft. Der Sauerstoffanteil in der Pressluft war 20,9 %. Das war, was ich an mir ausgetestet habe. Ich bin kein Cowboy. Ich wusste genau, was ich tue. Es war meine Erfahrung. Ich musste sie aneinander befestigen. Dann an ihnen einen Auftriebskörper befestigen. Du musst dich voll und ganz auf jede Bewegung konzentrieren und jede Emotion ausschalten.
Heinz Krimmer: Wo hast du deine Ausbildung gemacht?
Tarek Omar: Bei der TDI. Ich bin jetzt Instructor für technisches Tauchen. Doch vorher hatte ich schon 1998 eine gute Ausbildung und begann mich auch selbst weiterzubilden. Fragte Freunde usw. Verstand, was Oxygene und Helium bedeutet. Versuchte herauszufinden, wie die anderen es ab einer Tiefe von 40 m benutzten. Es gab ja viele Champions, die zu dieser Zeit schon 160 oder 180 m tief getaucht sind. Ich begann mit mir selbst zu experimentieren. Wie kann ich auf 100 m tauchen und wieder gesund nach oben kommen? Ich wollte mein Limit wissen. Es gab ja auch Mark Andrew, der mit Luft, glaube ich, 160 m getaucht ist.
Heinz Krimmer: Wann warst du das erste Mal im Blue Hole?
Tarek Omar: 1997 ging ich zum ersten Mal im Blue Hole tauchen. Ich fand es wunderschön. Der Tauchplatz ist nicht gefährlich. Wir, die Taucher, sind gefährlich, nicht der Platz.
Heinz Krimmer: Ich möchte gern noch ein paar Details wissen. Wenn du auf 100 m nach Opfern suchst, hast du da noch Licht oder ist es zu dunkel?
Tarek Omar: Es ist nicht dunkel. Gott sei Dank hat man im Roten Meer bis ca. 150 m noch Licht. Kein starkes Licht, aber genug, um alles zu sehen. Man kann einen Körper 10 m entfernt von sich erkennen. Manchmal auch 15 m, je nach Sicht. Du kannst deine Uhr, deinen Computer, alles kannst du sehen. Licht ist nicht das Problem.
Heinz Krimmer: Wie findest du die Toten?
Tarek Omar: Das Blue Hole ist ca. 100 m tief, und es wird, je tiefer man kommt, immer enger. Es ist konisch. Auf 56 m öffnet sich der Arch. Manchmal auch weniger, manchmal mehr, je nach Ebbe oder Flut. Der Arch geht bis zum Boden. Es ist eine große Öffnung. Der Boden ist kein Boden, es ist ein Abhang, der nach unten geht. Ab 130 m Tiefe ist man außerhalb des Blue Hole. Der Abhang geht dort bis zu einer Tiefe von 300 m.
Heinz Krimmer: Das heißt, du musst nicht viel suchen.
Tarek Omar: Wenn der Tote innen ist, ja. Du hast weniger als 60 m im Durchmesser. Wenn das Opfer draußen ist, also so ab 120 m, dann musst du wirklich suchen. Aber ich kenne den Platz inzwischen so gut. Ich weiß, wo was liegt. Da liegen viele Dinge von Toten und auch Leichen, und ich weiß auch, wer wer ist oder von wann. Ich glaube auch, auf dem Netz bei YouTube kann man das Bild von dem Taucher auf 115 m sehen. Ein Skelett. Das war der Unfall von den vier Leuten. Sie wollten einen Nightdive machen und im Arch meditieren. Sie tauchten zu dem Arch. Sie machten ihr Licht aus. Ich weiß nicht genau, wie lange, vielleicht für eine Minute. Als Sie das Licht wieder anmachten, fehlte das 3. Licht. Man kann am Blue Hole nachts wirklich Angst bekommen. Es ist unheimlich. Es ist nicht der Platz selbst, sondern all die Geschichten, die hier passiert sind, wirken auf die Psyche. Manche glauben sogar an einen Geist. Da gibt es Hunderte seltsamer Geschichten, die schon 1962 existierten. Einige Leute sagten, dort gäbe es ein großes Tier, das die Menschen fraß. Irgendwann kamen die Leute auch wegen der Attraktion der Geschichten. Aber irgendwie hat man alles im Kopf, was man über das Blue Hole gehört hat, selbst wenn man sagt, das ist eine Bullshit-Geschichte.
Achmed: Sie rauchten (gemeint ist Joint). Du kannst das Skelett auf YouTube sehen. Das Skelett wurde von polnischen Tauchern gefilmt. Das ist auch der Grund für den Checkpoint auf dem Weg zum Blue Hole. Sie zählen jetzt die Leute. Davor war es echt ein Problem. Niemand wusste, welches Divecenter usw. Jetzt wissen sie genau: Dieses Auto kam mit vier Leuten und muss mit vier Leuten auch wieder zurückkommen.
Heinz Krimmer: Ich habe immer gedacht wegen des Terrorismus.
Achmed: Nein, nein, das war alles vorher. Das hat nichts mit dem Terrorismus zu tun.
Heinz Krimmer: Was denkst du, was der Hauptgrund für all die Unfälle am Blue Hole ist?
Tarek Omar: Das Blue Hole hat nichts mit den Unfällen zu tun, die da passieren. Ganz ehrlich. Es ist einfach ein Tauchplatz im Salzwasser, genau wie bei den Islands (anderer Tauchplatz in der Gegend). Das Problem ist im Kopf der Menschen. Warum genießen sie nicht einfach das Leben bis 30 m? All die schönen Fische und Korallen. Warum wollen sie ihr Leben riskieren und ihre Familie ins Unglück stürzen? Warum haben sie keine Verantwortung?
Ich selbst musste noch nicht mal in die Dekompressionskammer. Nicht einmal. Aber viele trauen sich einfach zu viel zu. Sie denken, sie wissen alles, doch das ist nur Theorie. Vor Kurzem verunglückte ein polnischer Taucher. Der wollte unbedingt auf 130 m. Und da habe ich ihn dann auch geholt.
Heinz Krimmer: Wie tief darf man denn als Tec-Diver tauchen?
Tarek Omar: Das als sicher geltende Limit für einen „Advanced Technical Trimixdiver“ ist 100 m.
Heinz Krimmer: Noch einmal zu deinem Wissen ums Tieftauchen und der Gasgemische jenseits der 100 m. Man kann also sagen, du experimentierst. Du probierst aus und beobachtest deinen Körper. Du kennst deinen Körper genau und weißt, wie er reagiert.
Tarek Omar: Ja, das kann man sagen.
Heinz Krimmer: Deine Selbsttests mit den Gasgemischen erinnern mich an die ersten Tauchpioniere, z. B. Hans Hass. Als er anfing, wusste auch niemand so richtig, wie das mit der Luft aussieht. Wie tief kann man gehen? Er tat das Gleiche wie du. Er machte Selbstversuche. Erst mal 10 m. Okay, dann 20 m, okay, nächstes Mal 30 m usw.
Achmed: Tarek hat aber eine andere Mission. Es geht ja nicht darum, einfach mal tief zu tauchen, sondern um Bergung von Opfern.
Tarek Omar: Es ist was komplett anderes, aus Spaß auf 150 m zu tauchen und sich zwei Minuten umzusehen, als das, was ich mache. Ich habe Opfer, das Stresslevel ist viel höher, du atmest anders usw. Eine Leiche aus 100 m zu bergen, ist härter als ein 200-m-Tech-Dive ohne Mission. Ein 200-m-Tauchgang ist dein eigenes Risiko, aber bei einem Bergungstauchgang ist die Belastung hoch. Oben wartet die Familie und sie setzen die Hoffnung in dich, dass du das Opfer bergen kannst. Manchmal klappt es, manchmal aber ist die Leiche nicht zu finden oder verschwunden. Das gibt mir immer großen Stress.
Heinz Krimmer: Kannst du sagen, wie viele Leute verschwunden sind? Kannst du das in Prozent ausdrücken, z. B. 70 % werden gefunden?
Tarek Omar: Verschwinden ist das falsche Wort. Manchmal bin ich mehrmals da, weil man nicht weiß, wohin sie getaucht sind. Aber selbst wenn, kann es sein, dass die Strömung sie woanders hingetrieben hat. Selbst wenn sie im Blue Hole getaucht sind, kann es durch die Strömung sein, dass sie draußen sind. Manchmal kann ich sie draußen einfach nicht finden.
Heinz Krimmer: Hast du Angst, wenn du gehst?
Tarek Omar: Klar. Ich wäre Ignorant oder unehrlich, wenn ich behaupten würde, ich hätte keine Angst. Die Angst ist meine Lebensversicherung.
Heinz Krimmer: Hast du mal abgebrochen, wenn du runtergetaucht bist, um jemanden zu bergen?
Tarek Omar: Oft, sehr oft. Oder ich habe die Person gefunden, brachte sie aber nicht hoch, sondern holte ihn erst am nächsten Morgen. Manchmal folge ich meinem Instinkt. Das ist sehr wichtig in dieser großen Tiefe. Ich habe dort unten nicht so viel Zeit zum Nachdenken. Der Instinkt entwickelte sich auch aus meiner Erfahrung.
Heinz Krimmer: Das mit der Angst und dem Instinkt ist ein wichtiger Punkt.
Tarek Omar: Ja, alle, die starben, hatten keine Angst. Sie dachten, sie wären die Champions of the World im Tauchen.
Heinz Krimmer: Aber wenn du jetzt gehst, gehst du nicht mehr mit Luft wie früher, sondern mit Trimix.
Tarek Omar: Ich bin seit sieben Jahren nicht mehr mit Luft gegangen.
Heinz Krimmer: Zu dem polnischen Taucher, den du geborgen hast: Wie lief das ab? Wie machst du einen Bergungstauchgang?
Tarek Omar: Ich gehe ca. 20 m pro Minute runter bis auf 100 m. Danach 15 m pro Minute. Er war auf 130 m, also brauchte ich ca. 7 Minuten.
Heinz Krimmer: Und dann musstest du doch ein bisschen suchen?
Tarek Omar: Ich mache es gewöhnlich so: Ich gehe in die Mitte des Arch und dann tauche ich beim Runtergehen aus dem Blue Hole, damit ich ein möglichst großes Gebiet von oben sehen kann. Und als ich auf ca. 90 m war, habe ich ihn gesehen. Ich mache das immer so, dass ich mich auf 90 m umsehe.Und ich kenne alle Reste der alten Opfer, sodass diese mich nicht ablenken.
Heinz Krimmer: Du meinst die ganzen nicht geborgenen Leichen?
Tarek Omar: Im Moment ist es nur einer auf 115 m. Und da ist noch einer bei 170 m. Heinz Krimmer: Falls du ihn nicht sofort findest, wie lange suchst du?
Tarek Omar: Ich gebe mir maximal 5 Minuten. Wenn ich ihn dann nicht finde, gehe ich hoch und suche das nächste Mal woanders. Aber meistens finde ich sie. Bis 150 m oder 170 m finde ich sie immer.
Heinz Krimmer: Ist 170 m das Tiefste, wo du jemanden bergen kannst?
Tarek Omar: Nein, ich war schon auf 209 m. Aber je tiefer, umso geringer wird die Chance, jemanden zu bergen. Du musst ihn ja nicht nur finden, sondern auch bergen. Einmal fand ich auf 169 m die Ausrüstung eines Opfers, aber das Opfer selbst fand ich nicht.
Heinz Krimmer: Also zusammengefasst: Du gehst 6 bis 7 Minuten runter, dann suchst du 5 Minuten. Dann haben wir schon 11 oder 12 Minuten. Dann brauchst du Zeit, um den Körper zu bergen.
Tarek Omar: Für die Bergung gebe ich mir noch mal 3 Minuten. Ich muss auf das Helium aufpassen, dass es mir nicht eine Art Narkoseeffekt auslöst. Das absolute Maximum sind 18 Minuten. Das war auch genau die Zeit, die ich für den Polen brauchte, den ich aus 132 m barg. Ich brachte ihn an einen sicheren Platz im Blue Hole und tauchte von dort mit dem Opfer auf 50 m. Ich hatte ihn die ganze Zeit bei mir. Machte die üblichen Sicherheitsstopps. Dort füllte ich auch die Boje, die ich an den Flaschen der Opfern befestigt hatte, mit Luft, und die Leiche trieb langsam zur Oberfläche. An der Oberfläche habe ich dann Helfer, die die Toten aus dem Wasser holen. Es wäre leichter, ein Opfer ohne die Ausrüstung zu bergen, aber ich berge alles, falls es hinterher eine Untersuchung gibt, ob das Equipment einen Fehler hatte oder das Gasgemisch nicht okay war.
Heinz Krimmer: Wie lange dauert denn so ein Aufstieg aus dieser Tiefe?
Tarek Omar: Es kommt natürlich darauf an, wie tief. Ich habe meinen eigenen Dekompressionsplan. Ich muss hier 2 Minuten warten, dann dort 8 usw. Bei 100 m sieht es in etwa so aus. Bis 60 m gehe ich 10 m die Minute hoch. Dann immer langsam. Auf 6 m habe ich immer einen sehr langen Stopp. In diesem Fall waren es 40 Minuten. Alles zusammen waren es ca. 2,5 Stunden.
Heinz Krimmer: Lass uns zu den Gründen der Unfälle kommen. Ich habe viel gehört. Ich denke, der Hauptgrund für die Unfälle ist, dass die Leute einfach zu unvernünftig sind.
Tarek Omar: Ich stimme dir zu.
Heinz Krimmer: Man würde ja auch keinen Marathon machen, wenn man nicht trainiert ist. Sie haben keine Erfahrung. Was mich aber wundert ist, dass du gesagt hast, dass jetzt mehr Tec-Divers Unfälle haben.
Tarek Omar: Das liegt daran, dass sie oft zu wenig wissen, es ist aber auch ein soziales Problem. Viele Leute, die Geld haben, wollen Tec-Diver werden. Sie fühlen sich dann als was Besseres. Die meisten Tec-Diver sterben, weil damit jetzt Geld gemacht wird und weil es eine Art Mode geworden ist. Ich will mir jetzt keine Feinde machen, deshalb nenne ich keine Namen. Aber viele sind unverantwortlich, wenn es um Geld geht. Du willst 150 m tief tauchen? Okay, lass uns gehen. Viele Ausbilder geben auch ein falsches Gefühl der Sicherheit. Später gehen die Kunden dann nach Thailand oder woandershin und sterben.
Heinz Krimmer: Meine Meinung dazu ist, und ich bin zu 150 % Taucher: Ich habe absolut keine Faszination am Tieftauchen. Die schönsten Dinge gibt es …
Tarek Omar: … im flachen Wasser. Mehr Licht, mehr Farben, mehr Fische. Ich bin an diesem Tauchplatz Blue Hole interessiert und ich kann helfen. Dieser Platz ist voller Tränen. Die Angehörigen weinen stundenlang. Ich erinnere mich an die Frau eines Verunglückten. Sie saß drei Tage hier am Meer und weinte. Sie dachte, er käme zurück. Drei Tage. Wenn man ihn jetzt bergen kann, dann kann man helfen, das zu verarbeiten. Hier ist dein Opfer, du kannst ihn jetzt beerdigen. Wenn man sie nicht findet, ist immer dieses Mysteriöse. Sind sie in die Tiefe getrieben worden? Werden sie irgendwo angespült? Was ist passiert? Und dann bleiben diese Fragen für immer. Wenn ich mit meinem Wissen helfen kann, dass jemand nicht mehr weinen muss und akzeptieren kann, dass er tot ist, dann nimmt das ein wenig von der Traurigkeit.
Heinz Krimmer: Ist das nicht das Härteste an deinem Job?
Tarek Omar: Ja, die Familie, die Emotionen. Erst sind sie immer geschockt, können nicht akzeptieren, was passiert ist. Wo ist mein Sohn? Wo ist mein Mann? Warum ist er nicht zurück? Warum? Sie werden verrückt. Mein Sohn kommt nicht zurück. Warum? Warum? Ich denke dann immer: Gebe ihnen den Leichnam so schnell wie möglich. Dann weicht der Schock der Realität. Sie können glauben, was passiert ist. Sie gehen durch eine schwere Zeit …
Heinz Krimmer: Warten die Angehörigen oft am Blue Hole auf dich, wenn du ein Opfer birgst?
Tarek Omar: Meistens.
Heinz Krimmer: Das ist ja auch gefährlich für dich, wenn du in die Tiefe gehst. Du musst voll konzentriert sein und darfst dich nicht von Emotionen leiten lassen.
Tarek Omar: Die Emotionen kommen bei mir immer nach der Bergung. Ich sehe all die verzweifelten Gesichter bevor ich gehe, aber ich lasse sie nicht in meinen Kopf. Es kommt danach. Ich sehe sie weinen und der ganze Film läuft jetzt in meinem Kopf ab. Aber unter Wasser bin ich ein Eisblock. Du darfst keine Emotionen haben, während du das machst.
Heinz Krimmer: Ich kann mir das gut vorstellen, wenn du unten bist und schon 5 Minuten gesucht hast und ihn nicht findest. Dann wird das ein Problem, weil du ja auch die Familie nicht enttäuschen willst, aber du musst abbrechen.
Tarek Omar: Ich danke meinem Gott, dass ich bei 95 % meiner Einsätze die Familie nicht enttäuschen musste. Ich bin darüber sehr glücklich.
Achmed: Es wäre nicht gut, wenn all die Toten dort unten bleiben würden. Tarek will auch nicht, dass seine Schüler die Toten sehen.
Tarek Omar: Lass es uns so sagen: Alle von uns, egal welche Religion der Welt, haben Respekt vor den Toten. Und man sollte diesen Respekt haben. Wenn man sie da liegen lässt, dann kommen die Leute, tauchen runter, begaffen, fotografieren und filmen sie. Ich bin wirklich sehr enttäuscht von dem Mann, der den Film über den einen Toten dort unten gemacht hat. Denn du öffnest eine große Wunde im Herzen der Familie.
Heinz Krimmer: Und die Familie will das auch nicht im Internet sehen.
Tarek Omar: Ja, genau. Man sollte sich das nicht auf diese Art ansehen.
Heinz Krimmer: Bis in welche Tiefe begleiten dich deine Helfer?
Tarek Omar: Manchmal geht einer mit mir bis 90 m runter, wenn er die Fähigkeiten hat. Manchmal wartet er auf 80 m oder 60 m. Und an der Oberfläche warten noch zwei Taucher.
Heinz Krimmer: Das heißt, anders als am Anfang arbeitest du jetzt nicht mehr allein, sondern im Team.
Tarek Omar: Ja, aber Bergen in der Tiefe mache ich allein. Dann muss ich mir nicht um ein weiteres Leben Sorgen machen. Dann kann ich mich 100 % auf meine Mission konzentrieren und bin nicht durch eine andere Person abgelenkt. Ich muss dort unten auch alle Entscheidungen schnell treffen und umsetzen.
Heinz Krimmer: Wie viel Geld nimmst du denn für einen Bergungstauchgang?
Tarek Omar: Nur die Kosten für die Gase und die Helfer.
Heinz Krimmer: Das ist sehr ehrenvoll von dir, dass du dieses hohe Risiko für dich eingehst und dafür kein Geld bekommst.
Tarek Omar: Ich bekomme mehr als Geld. Wenn eine Mutter, eine Frau mir anke sagt, dann ist das mehr für mich als 10 000 Euro oder eine Million Euro.
Heinz Krimmer: Deine Motivation ist also Menschlichkeit.
Tarek Omar: Ja, nicht das Geld. Wenn ich Geld machen will, dann gehe ich mit Tauchern runter und bringe sie wieder lebend zurück.
Heinz Krimmer: Du hast ja auch Yuri (gemeint ist Yuri Lipski, der seinen eigenen Tod gefilmt hat) geborgen. Kannst du mir die Geschichte erzählen?
Tarek Omar: Die Geschichte hat mich sehr mitgenommen, nicht die Bergung, sondern die Emotionen. Bevor ich Yuri barg, habe ich seine Mutter gesehen. Und seine Mutter war geschieden von seinem Vater. Sein Vater lebt in Israel und nur Yuri wohnte bei seiner Mutter. Er war ihr Ein und Alles. Als sie kam, als ich ihn barg, ich weiß nicht warum, sprach sie zu mir wie zu einem Sohn. Und ich sah plötzlich Yuris ganze Geschichte, von der Zeit, als er ein Baby war, bis jetzt. Wir sprechen über eine tote Person, und die Mutter erzählt dir die Lebensgeschichte. Sie war Russin und sie hatte extra einen Übersetzer, der mir das übersetzte. Über eine Woche war sie hier, und wenn sie aufwachte, rief sie mich an und weinte. Dann wurde der Leichnam nach Russland für die Beerdigung gebracht. Dann kam sie wieder für eine Woche zurück und bat mich, die Erinnerungstafel am Blue Hole anzubringen, und sie hatte seine Asche dabei, und wir haben die Asche dem Meer übergeben. Das war unglaublich emotional.
Heinz Krimmer: Sie hatte die Asche am Blue Hole ins Meer gegeben?
Tarek Omar: Ja, das hat mich sehr berührt. Danach habe ich entschieden, nicht mehr so einen engen Kontakt zu den Familien aufzunehmen. Manchmal wollen sie dich wie ein Mitglied der Familie behandeln. Dann weißt du oft nicht mehr, was du sagen sollst, und wirst selbst traurig und heulst.
Heinz Krimmer: Und was hat Yuri gemacht?
Tarek Omar: Yuri wollte im Blue Hole filmen. Ich fand ihn auf 115 m ohne Luft in der Flasche.
Heinz Krimmer: Er wollte filmen? Mit normaler Luft?
Tarek Omar: Ja, es ist eine verrückte Geschichte. Er hatte eine Videokamera und Gehäuse und er wollte filmen. Er begann bei 25 m Probleme zu bekommen und er sank wie ein Stein. Er ließ die Kamera los, und sie hing hier, und er filmte die letzten 8 Minuten seines Lebens. Er schrie, er starb, er litt. Das war sehr hart zu sehen.
Am nächsten Morgen, als wir mit Achmed alles geborgen hatten, gaben wir der Familie die Ausrüstung. Die Mutter war im Hotel und wollte die Dinge waschen, aber sie konnte nicht. Die Angestellten riefen mich an, ob ich nicht helfen könnte, und so ging ich hin. Ich besorgte Desinfektionsmittel. Als ich die Kamera in der Hand hatte, dachte ich, sie wäre kaputt, denn das Gehäuse war nur auf 70 m ausgelegt, und ich dachte, bei 115 m ist sie bestimmt geflutet. Ich habe sie gewaschen und geöffnet, und ich war geschockt. Die Kamera war total trocken. Ich holte das elektrische Kabel, und ich entdeckte, dass Yuri vor seiner Kamera gestorben ist. Ich habe das erste Mal in meinem Leben gesehen, wie jemand stirbt.
Heinz Krimmer: Das heißt, Yuri ist zwar ein Risiko eingegangen, aber im Grunde war es war ein Unfall?
Tarek Omar: Er ging ein großes Risiko ein. Wenn du nur einen Tank nimmst und willst auf 50 m oder mehr, und das um 17:00 Uhr abends, wenn das Licht schon fast weg ist …
Heinz Krimmer: War er allein?
Tarek Omar: Ich denke, er hatte einen Buddy, aber ich erinnere mich nicht mehr genau.
Achmed: Du kannst den Buddy auf dem Film sehen.
Tarek Omar: Der Film ist auf YouTube zu sehen.
Heinz Krimmer: Was denkst du, welches Problem er bekommen hatte?
Tarek Omar: Er war zu schwer. Mit seinem Buddy zusammen hatte er 60 kg. Sein Blei, das vom Buddy, Video mit Gehäuse, eine Menge Lampen, alle schwer. Da kommst du schnell an einen gefährlichen Punkt.
Achmed: Du füllst dein BCD (Jacket) voll mit Luft, und trotzdem sinkst du. Es war nicht die richtige Ausrüstung für so einen Tauchgang.
Tarek Omar: Das ist genau das, was du in dem Film siehst.
Heinz Krimmer: Er hatte wohl auch ein viel zu kleines Jacket, vielleicht nur mit 12 Litern und nicht 25 Litern, und er hat nicht rechtzeitig sein Blei abgeworfen.
Achmed: Ja, wenn er vielleicht rechtzeitig sein Blei weggeworfen hätte oder seine Kamera …
Tarek Omar: Normalerweise befestigen wir alles so an uns, dass wir es schnell loswerden. Aber es muss schnell gehen. Wenn du deine Kamera nicht loswerden willst, dann stirbst du.
Heinz Krimmer: So war letztendlich die Ursache, dass die Ausrüstung für diesen Tauchgang nicht ausgelegt war.
Tarek Omar: Wenn man tief taucht, gibt es ein paar Dinge, über die man nachdenken muss. Und Leute, die davon keine Ahnung haben, die springen einfach mit der normalen Ausrüstung ins Wasser und denken, das wird schon okay sein. Ist es aber nicht.
Heinz Krimmer: Tarek und Achmed, ich danke euch herzlichst für das Gespräch.