Im Juni 2017 erschien mein Sachbuch mit dem Titel „Netzwerk Korallenriff“ im Kosmos Verlag, Stuttgart
„Netzwerk-Korallenriff“ ist mehr als eine umfassende Bestandsaufnahme unseres aktuellen Wissens über Korallen und die von ihnen geschaffene Ökosysteme. Wir gehen auch auf eine spannende Reise. Wir besuchen die kalten Pole ebenso wie die farbenprächtigen Riffe in den Tropen. Hier stoßen wir auf das evolutionäre Zentrum unseres Planeten: das Korallendreieck. Es ist mit großem Abstand die artenreichste Region der Ozeane, kongenial ergänzt durch die hohe Biodiversität der tropischen Regenwälder an Land. Wir klettern auf hohe Berge und tauchen in die geheimnisvolle Tiefsee. Überall finden wir atemberaubend schöne Korallenriffe oder gigantische fossile Spuren ihres Wirkens aus der Vergangenheit. Die aus Kalk geschaffenen Bauwerke der Korallen übertreffen an Masse, Größe, Höhe und Stabilität alles, was jemals von einem Lebewesen – uns eingeschlossen – erschaffen wurde. Korallen bauen traumhafte Inseln und Atolle und schützen unsere Küsten. Sie veränderten die Geologie unserer Erde. In den fossilen Riffen lagern kostbares Öl und Gas. Eine erstaunliche Leistung für Tiere, die nicht einmal ein Gehirn besitzt.
Nur ein Ausflug in das Innere der Korallen kann uns helfen, dieses Geheimnis zu verstehen. Wir lernen ihre Biologie und ihre vielen mikroskopisch kleinen Helfer kennen. Zu ihnen gehören nicht nur einzelligen Algen, die sie wie Gärtner pflegen und hegen und die sie mit Energie versorgen. Auch Bakterien und Viren gehören zum Team Koralle. Und wenn wir in ihr Allerinnerstes, das Erbgut in den Zellen, vorgedrungen sind, werden wir überrascht sein. Viele Gene haben sie mit uns gemeinsam. Wir hatten vor 630 Millionen Jahren plus X einen gemeinsamen Vorfahren.
Doch Korallen alleine können keine Riff erschaffen, nicht einmal Milliarden von ihnen wären dazu in der Lage dazu. Wer mit offenen Augen bei Tag oder Nacht im Riff taucht, kann es jeden Moment beobachten. Fische und Seeigel befreien Korallen von konkurrierenden Algen. Haie sorgen für gesunde und ausgeglichene Fischbestände. Rotalgen verfestigen den Untergrund. Ebenso bedeutend sind die für uns unsichtbaren Leistungen der Mikroben und Schwämme. Symbiotische Beziehungen sind allgegenwärtig. Ein Riff ist Teamarbeit, ein gemeinsames Werk von Lebewesen, die innerhalb der biologischen Systematik zu verschiedenen Reichen gehören. Dies ist das wahre, einzigartige Geheimnis des Ökosystems Korallenriff.
Nicht immer ist unsere Reise schön. Manchmal macht sie uns traurig, frustriert und wütend. Ca. 30% aller Korallenriffe haben wir schon verloren und wir sind dafür verantwortlich. Außer uns haben sie keinen Feind. Ihren mächtigsten Gegner, den Ozean und die Stürme mit ihren Angriffswellen haben sie schon lange besiegt. Die meisten Riffe starben bisher durch Überfischung, physischer Zerstörung durch Sedimente und Umweltverschmutzung. In der Zukunft könnten den geschwächten Riffen die Folgen des CO2-Ausstoßes den Todesstoss versetzen. Ein totes Riff ist ein deprimierender Anblick. Korallentrümmer überall und außer Algen kaum noch ein anderes Lebewesen. Als hätte ein Krieg zwischen uns und den Lebewesen eines Riffes stattgefunden und wir hätten den Gegner erfolgreich vernichtet.
Dabei sind Korallen und Riffe schon seit Langem unsere allerbesten Freunde. Sie ernähren direkt und indirekt Hunderte Millionen Menschen. An von ihnen gebauten Traumstränden erholen wir unsere vom Alltag gestresste Seele. Medizinische Wirkstoffe aus Korallenriffen retten schon heute Millionen Kranken das Leben, Fluoreszenzproteine revolutionierten die Zellforschung. Für die Zukunft sind diese Stoffe die größten Hoffnungsträger für die Wissenschaft. Der ökonomische Wert der Riffe ist gigantisch. Auf mindestens 172 Milliarden US-Dollar schätzen Wissenschaftler den jährlichen Profit. Andere gehen von einer Billion US-Dollar pro Jahr aus. Wären Korallenriffe wie eine Aktiengesellschaft bewertet, und würde man auch ihre mit Kalk geschaffenen Immobilien und den Rohstoff selbst in die Bilanz mit einbeziehen, käme man auf über 50 Billionen US-Dollar. Jeder der 7,5 Milliarden Menschen wäre um 6.666,66 US-Dollar reicher, würde er nur eine einzige Aktie besitzen. Dagegen ist selbst Apple, der aktuell wertvollste Konzern der Welt, ein Zwerg. Und zu guter Letzt könnten wir von den Korallen lernen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Sie zeigen uns, wie man in einer Welt knapper Ressourcen durch ein perfektes Recyclingsystem Großes schaffen kann. Sie sind ein lebendes, funktionierendes Musterbeispiel an Nachhaltigkeit.
Unsere Reise endet hoffnungsvoll. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Ca. 70% aller Riffe existieren noch. Darunter Riffe, die aus der Zeit gefallen zu sein scheinen. Schutzgebiete ermöglichen ihre Unberührtheit und Pracht. Selbst die neuen Bedrohungen durch den Klimawandel konnten ihnen bisher nichts anhaben. An extremen Standorten entdecken wir die Taffesten unter den Taffen. Korallen, die unter widrigsten Umständen Riffe bilden. Und auch ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Sie besiedeln die Ozeane seit über 500 Millionen Jahren. In dieser Zeit überlebten sie fünf große und zahlreiche kleine Massenaussterbeereignisse, die für unsere Spezies wahrscheinlich das Ende bedeutet hätten. Sie machen Charles Darwins These der „Survival of the Fittest“ als perfekt angepasste Tiere alle Ehre. Doch jetzt brauchen sie unsere Hilfe. Wir müssen die Zerstörung und den CO2-Ausstoss stoppen und zwar schnell. In unserem ureigensten Interesse, denn wir sind die größten Profiteure dieses aus biologischer wie ökonomischer Sicht bedeutendsten Ökosystems der Erde. Dem deutschen Naturforscher Gottfried Ehrenberg gebührt die Ehre, dies als Erster erkannt zu haben. Er bezeichnete die Korallen 1837 als eines der „einflussreichsten erscheinenden Formen des organischen Lebens“.
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- Verlag: Kosmos; Auflage: 1 (8. Juni 2017)
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- Größe: 13,5 x 2 x 21,5 cm